Heute sind 3 Wochen vergangen, seit dem historischen 10. Mai, an dem der Führer den Krieg im Westen begann. Unser Regiment hat die letzten 3 Wochen immer in vorderster Linie gestanden. Tag und Nacht - Kämpfe und Märsche! Ich sandte Ihnen schon einen Regiments-Befehl von mir zur vorläufigen Unterrichtung. Gestern haben wir den letzten Feind vor uns, Engländer, vernichtet. Nun sind wir herausgezogen, sollen in Ruhe kommen. Ich will die kurze Ruhezeit benutzen, um Ihnen, unserer lieben Garnisonstadt und den alten Kameraden unserer Traditionsregimenter kurz in Stichworten von Aufgaben und Leistungen des jungen J.R.74 zu berichten.
Ich muss vorausschicken, dass unserem Regiment von Anfang an die stolze Aufgabe zugedacht war, als Sturmkeil vor der 19.Division herzuziehen und jeden Widerstand mit aller zusammengefassten Kraft und größter Schnelligkeit zu brechen, damit der Feind gar nicht zur Besinnung, zur Organisation neuen Widerstandes kommen konnte. Dazu war das Regiment in den letzten Wochen ausgebildet, darauf war jeder Mann eingedrillt. Besonders das II. Bataillon war mit verstärkter 5. und 6.Kompanie als schnelle "Vorausabteilung" um formiert. Seine 1.Aufgabe war, die Stadt Roermond in Holland zu nehmen und den Übergang über die dort stark befestigte Maas zu erzwingen. Dem Regiment waren dazu zahlreiche weitere Truppenteile, die Aufklärungsabteilung 19, Panzerjäger 19, eine schwere Panzerjägerkompanie, schwere Artillerie, Pioniere usw. unterstellt. Die Kompanien des II.Bataillon waren auf Fahrrädern beweglich gemacht. Die zahlreichen Sperren und Befestigungen in Holland waren bekannt, ihre Überwindung in mehreren Planspielen und Übungen vorbereitet.
Wir lagen in der ersten Maiwoche friedlich an der holländischen Grenze. Das Warten war uns freilich schon reichlich lang geworden, aber - der Führer würde schon den richtigen Zeitpunkt, wie immer, zu finden wissen!
Am 8./9.Mai hatten wir eine große Divisionsübung. Sie schloss am 9.Mai gegen 13 Uhr mit der Besprechung durch den Kommandierenden General des XI. Armeekorps, Generalleutnant von Kortzfleisch. Während der Besprechung wird der General plötzlich unterbrochen. Ein Adjutant kommt und reicht ihm einen Zettel. Ruhig hält der General seine Besprechung zu Ende. Dann aber strafft sich seine Gestalt. Er tritt einen Schritt vor und sagt: "Meine Herren, soeben ist der Befehl eingetroffen, morgen früh gehts gegen den Feind!"
Eilig wird nun zurückmarschiert und gepackt, alle Müdigkeit von der zweitägigen Übung ist vergessen. Um Mittermacht steht das ganze verstärkte Regiment zum Vormarsch bereit.
10. Mai. Um 1 Uhr trifft das verabredete Stichwort ein. Die Würfel sind gefallen. Es geht los. Wie ein Uhrwerk läuft nun alles ab - so oft vorgeübt! Die Vorausabteilungen, dahinter I. und III. Bataillon, die Artillerie stellen sich im Elmpter Wald bereit. Die Nacht ist sternenklar und windstill. Um 2.30 Uhr sind Feindwerts mehrere gewaltige Detonationen zu hören. Die Holländer sprengen also doch Ihre Brücken und Straßen. Uns soll es nicht aufhalten.
5.35 Uhr - Der große Augenblick ist da. Die Vorausabteilungen überscheiten die Grenze. Vier Vorausabteilungen unterstehen dem Regiment. Zwei sind von der Aufklärungsabteilung 19 gebildet, die 3.unter Oberleutnant H i p p 1 e r von unserer verstärkten 5.Kompanie. Die 4. unter Oberleutnant L o j e w s k i von der verstärkten 6.Kompanie. Sie rasen nun auf verschiedenen Wegen vor. Alle haben das gleiche Ziel, die Maasbrücken von Roermond. Unterwegs Betonsperren mit Eisenschienen an den Straßen, Baumsperren - herrliche alte Alleen sind umgelegt, um uns aufzuhalten. Aber die gewandten Radfahrer finden schnell eine Umgehungsmöglichkeit, Pioniere räumen die Sperren in kürzester Zeit von der Straße. Der Widerstand ist schwach, die feindlichen Grenzwachleute und Nachhuten ergeben sich oder weichen zurück. Bis Roermond wird nur 1 Feldwebel verwundet, der in Maasniel von feindlichen Kradschützen angeschossen wird. Erst an der Maas ist der Widerstand stärker. Auf dem Westufer hat der Feind stark betonierte Bunker, M.G.Nester und ausgebaute Feldstellungen, davor Drahthindernisse und die 120 m breite Maas. Die Brücken sind alle gesprengt.
Und nun vollzieht sich planmäßig, wie so oft eingedrillt, der Einsatz der schweren Waffen zur Bunkerbekämpfung, der Aufmarsch unserer Artillerie und das Heranbringen des Übersetzmaterials, der Floßsäcke. Besonders bewähren sich die 8,8 cm Geschütze der schweren Panzerjägerkompanie. Bunker auf Bunker wird mit jedem Schuss in kürzester Frist vernichtet. Schrecklich die Wirkung auf den Feind. Unter dem Feuerschutz unserer Infanteriegeschütze, M.G.s und der Artillerie beginnt schon 9.15 Uhr das Übersetzen. Zwar wird ein Floßsack dabei von einem nicht vorher erkannten Bunker zerschossen, einige Schützen der 5.Kp. ertrinken dabei. Aber sonst gelingt der Übergang überall. 9.30 Uhr ist ein Brückenkopf westlich der Maas gebildet. Fähren werden gebaut. Mit größter Schnelligkeit setzt das ganze Regiment über die Maas. Die Verluste sind gering.
Und wie in Polen merken wir dabei zum 1.Mal, dass unsere Luftwaffe auch im Westen ganze Arbeit getan hat. Kein feindlicher Flieger stört uns, greift die Ansammlungen an der Übersetzstelle an, wo nun der Brückenbau beginnt. Ein einziger feindlicher Flieger kommt in die Nähe, dreht aber in unserem Flakfeuer sofort wieder ab.
So wurde die erste ausgebaute, starke holländische Verteidigungslinie an der Maas vom Regiment in knapp 2 1/2 Stunden - uns selbst ein Wunder - durchbrochen.
Ohne Aufenthalt jagen nun die Vorausabteilungen weiter. Auch an der Eisenbahnbrücke nördlich Roermond ist der Aufklärungsabteilung der Übergang geglückt. Hier folgt unser III.Btl. über Buggenumm nach, während das I.Btl. bei Roermond selbst dem II.Btl. folgt. In der Mittagszeit kommen unsere Vorausabteilungen an den 2.Kanal. Auch hier ausgebaute, besetzte Bunker, gesprengte Brücken. Die 5.Kompanie überrumpelt die ersten beiden Bunker und nimmt die überraschte Besatzung gefangen. Eine Brücke bei Panheel ist so schlecht gesprengt, dass Fahrzeuge noch hinüberkönnen. Sie wird sofort ausgenutzt. Der Maastrichtzipfel ist nun durchquert, wir stehen an der belgischen Grenze. Hier sollen starke Befestigungen bei Molenbeersel und Kinroy sein. Nach kurzem Aufenthalt, der nötig ist, um die bei dem schnellen Vormarsch nach der Tiefe stark gestaffelten Verbände etwas auflaufen zu lassen, wird die Grenze überschritten. Wir finden die belgischen Befestigungen, Sprengungen und Sperren, viel stärker als in Holland, aber unverteidigt, verlassen. Immerhin ist das Zurechtfinden schwer. Umwege müssen gemacht werden. Aber bis zum Abend sind die Befestigungen in unserer Hand. Wir verbringen die Nacht mit den Vorausabteilungen in Molenbeersel und südlich I. und III. Bataillon schließen auf. Die Artillerie kommt
nach.
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